Schneeblindes Wachs in Kokant

Heute heißt es früh aufstehen, denn wir werden um 08:00 Uhr abgeholt. Es geht von Margilan in Richtung Kokant. Spontan fassen wir morgens den Entschluss das Frühstück ausfallen zu lassen. Beim Abendessen am Abend zuvor, konnten wir den Fleischkonsum, nicht wie sonst, auf ein Minimum reduzieren. Ein typisch usbekisches Restaurant hat entweder vier verschiedene Speisekarten oder bietet eben nur eine einzige Speise in leicht veränderbarer Form an. Diese Speise bestand aus Fleischspießen. Hier konnte man einzig wählen, ob man eine Art Hackfleisch, oder Fleischstücke am Spieß haben wollte. Auf Nachfrage gab es dann doch überraschenderweise einen Gemüsespieß, den wir ausgeschlagen haben. Bei vielen traditionellen usbekischen Restaurants kommt jemand mit einem sehr großen Tablett, auf dem kleine Schälchen mit verschiedenen Leckereien und Brot angeboten werden. Da kann man sich direkt die Sachen aussuchen, die einem gefallen. Meist ist Brot gleich dabei, sodass man in der Regel 60 Sekunden, nachdem auf seinem „Bett“ platzgenommen hat, mit der Schlemmerei beginnen kann. Tee gibt es grundsätzlich zu jeder Tages- und Nachtzeit. Zurück zum Thema. Kein Frühstück heute. Erneut erwartet uns ein neuer Fahrer der gleich schon mit seiner auffälligen Sonnenbrille ins Auge sticht.

Erbse in Vakuum

Kleiner Seiteneinschub. Ich tippe die Zeilen während ich im Zug von Kokant nach Taschkent durchgeschüttelt werde. Es fühlt sich an wie im Film. Die Kamera fängt einen Zug ein, der langsam in den Bahnhof rollt und quietschend zum Stehen kommt. Wagen 5 ist der gewünschte Waggon, in den wir einsteigen. Es ist heiß, die Luft flimmert. Der Schweiß fließt in Rinnsalen den Rücken runter. Man hat diesen feinen Film auf dem Gesicht liegen, den man aus dem Fernsehen kennt, wenn der Hauptdarsteller in den Tropen gezeigt wird. Die Temperatur liegt bei 35 Grad, die sich anfühlen wie 45 Grad. Es wollen ziemlich viele Leute in diesen sowjetischen Zug einsteigen und man betet inständig, dass der Zug über eine Klimaanlage verfügt und die auch noch funktioniert. Im Zug kurze Erleichterung, denn man hört ein deutliches Rauschen. Der eigene Wagon ist voll besetzt, sodass schnell die Entscheidung fällt in dieser Affenhitze auch noch die Maske aufzusetzen. Dann schwitzt man partiell einfach ein bisschen mehr. Sabrina sitzt neben mir und hält ein Nickerchen. Dazu komme ich vielleicht auch noch, aber erst wird geschrieben. Nicht, dass ich hier Internetzugang hätte. Ich will mich damit auch nicht beklagen. Ich glaube mein Gehirn ist ausgetrocknet und im Moment rollt eine ausgetrocknete Erbse durch einen leeren Raum. Bei einem Blick aus dem Zugfenster ziehen diverse Baumwollfelder vorbei und wechseln sich mit diversen Hinterhöfen ab. Ich schweife völlig vom Thema ab, denn grade eben, war ich noch beim Start des Tages. Wir kehren später erzählerisch in den Zug zurück. [Aus Sabrinas Sicht bin ich einfach nur falsch angezogen…]

Batiken für Fortgeschrittene

Was ich hier so lapidar als Überschrift verwende, ist nicht negativ gemeint. Tatsächlich möchte ich meinen höchsten Respekt aussprechen. Es ist unfassbar viel Arbeit einen Schal aus Seide, oder Baumwolle herzustellen, dass man sich fragt, wie man ein solches Stück überhaupt bezahlen kann. Fangen wir vorne an. Seide beginnt mit Raupen, Raupen haben Hunger, die müssen gefüttert, gehegt und gepflegt werden, damit sie schön wachsen können. Dazu müssen aber eigentlich vorher Maulbeerbäume gepflanzt werden, denn die Raupen werden mit den Blättern der Maulbeere gefüttert. Die Raupe produziert dann einen Kokon. Diese kleinen Kokons werden an eine Fabrik geliefert, wie die die wir heute Morgen besucht haben. In rund zwei Stunden sind wir in der Fabrik mit Informationen rund um alle Fertigungsschritte versorgt worden. Ich weiß gar nicht ganz genau, was ich am interessantesten fand. War es das einkochen der Kokons, um daraus Fäden zu spinnen, oder der Einsatz von Tesafilm, wenn es um Färben geht. Schätzungsweise war es das Färben. Das habe ich ja irgendwie als Batiken für Fortgeschrittene bezeichnet. Hier die vielen Fertigungsschritte im Schnelldurchgang: Kokons kochen, Fäden ziehen, gleichen Prozess für alles wiederholen, was noch im Kochtopf geblieben ist. Die verschiedenen Kochvorgänge produzieren verschiedene Qualitäten. Dann werden die Fäden zum Trocknen aufgezogen. Der nächste Schritt besteht daraus, aus den Fäden lange Zöpfe zusammen zu stellen. Die vielen Zöpfe werden nebeneinander aufgespannt. Jetzt wird es künstlerisch, denn die auf diese Fläche wird das gewünschte Muster aufgetragen. Next step Tesafilm. Durch das Muster ergeben sich die einzelnen Bereiche für jeden Zopf, die in verschiedenen Farben gefärbt werden sollen. So einfach und verrückt es klingt – dafür kommt Klebeband zum Einsatz. Dann darf auch schon der Farbkasten ausgepackt werden, denn als Nächstes erhalten wir einen Crashkurs in Farbenkunde. Ungefähr an dieser Stelle fällt bei mir der Groschen, dass Batiken nichts anderes ist… Am Ende dieser Vorführung wird uns noch gezeigt, wie man richtig batikt. Dabei konnte ich beim Falten kurz unterstützen, denn es ging darum das gebatikte Tuch ordentlich zu falten. Dank Mutti lief das flüssig aus dem Arm, denn da unterscheidet sich Usbekistan nicht von der Eifel. Die fertig gefärbten Fäden konnten wir einmal in einer maschinellen Produktion und einmal in der Handarbeitsversion bestaunen. Dort werden ebenfalls Teppiche geknüpft. Darin sind wir erwiesenermaßen Profis. Auch in Zentralasien endet eine solche Führung wo? Genau- in einem Verkaufsladen. Was passiert in solchen Läden?

Übrigens. In der Fabrik gibt es eine 40 Stundenwoche und am Wochenende (hier Freitag und Sonntag) gibt es auch. Aktuell wird in Usbekistan der Unabhängigkeitstag gefeiert, deswegen wirkte die Fabrik eher verlassen. Ein deutscher Einschlag war ebenfalls zu verspüren, da die Fabrik mit der giz (Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit) und der kfw zusammenarbeitet.

Wie Sabrina aus Versehen gehandelt hat

Ich konnte im Laden kein Design finden, welches mir zugesagt hat. Sabrina hatte diese Problematik nicht. Sie hat sich zwei schöne Stücke ausgesucht und steuert die Kasse an. Der Verkäufer packt liebevoll die beiden Stücke ein. Unser Reiseleiter ist bereits am Auto. Der Verkäufer tippt eine Zahl mit endlos vielen Nullen im Taschenrechner ein und zeigt das Display. Aus der Ferne kann ich die Nullen kaum überblicken. Sabrina sagt ja und legt ein paar Scheine auf den Tisch. Es kommt zu einem weiteren kurzen Wortwechsel und dann hat sich der Preis um 40.000 reduziert. Zurück im Auto herrscht kurze Verwirrung. „Ich hab gar nicht gehandelt.“ Ich bin keine große Hilfe, denn ich kann so gar nicht handeln. Es entsteht Pause und jeder hängt kurz seinen Gedanken nach. Plötzlich kommt die Erkenntnis, dass eben doch gehandelt wurde. Und zwar auf so eine subtile Art und Weise, dass Sie es selbst nicht gemerkt hat. Aus Versehen (im Nachhinein betrachtet natürlich aus voller Absicht) hat Sie eben mit vollem Selbstverständnis 40.000 SOM zu wenig auf den Tresen gelegt, was der Verkäufer dann als Handeln aufgefasst hat. So einfach kann es gehen.

Onkel Merjhat und Speisekarten

Unser heutiger Fahrer Onkel Merjhat (der schreibt sich bestimmt ganz anders) ist bis jetzt der gesprächigste Fahrer und fragt nach unseren Namen. Kleine Überraschung- auch Onkel Merjhat ist gastfreundlich. Er hält auf dem Weg nach Kokant am Straßenrand an und kauft für uns rote und weiße Weintrauben. Er klappt den Mittelsitz um, wäscht die Trauben mit Wasser ab und fragt, ob alles passt. Wir halten fest: Usbeken sind super gastfreundlich. Dies wird mit Sicherheit das Motto dieser Reise, falls es das nicht schon ist. Next stop: Mittagessen in Kokant. Ihr erinnert Euch. Frühstück war nicht und bis 12:00 Uhr sind die köstlichen Weintrauben alles was wir essen. Trotzdem wollen und vor allen Dingen können wir gar nicht super viel essen. Wieder bekommen wir eine Speisekarte in der wir immerhin Fotos haben. Trotzdem lässt sich nicht erkennen, wo überall Fleisch drin ist und wo nicht. Wir brauchen also wieder Unterstützung von unserem Reiseleiter. Wir enden damit, dass wir zwei Salate bestellen. Normalerweise würden wir ja teilen, aber wegen dem Frühstück und so. Ich zerfließe bereits im klimatisierten Restaurant und habe Angst diesen zu verlassen. Die nächste Attraktion ist fußläufig erreichbar.

Heimatmuseum – Palast Hudayar Khan

Wir gehen zu Fuß auf ein weiteres imposantes Gebäude zu. Dabei handelt es sich um die Palastanlage des Han Hudayar Khan. Ja – genau. Erstmal muss ich an Han Solo denken und im zweiten Schritt an Khan Nunien Sing. Die Nerds unter Euch können damit was anfangen. Für alle anderen lasse ich es unkommentiert. 😉 Ein Han ist so etwas wie Fürst und Khan ist einfach ein Name.

Früher einmal hat diese Palastanlage ein Areal von 8 Hektar bedeckt. Im Zuge der russischen Invasion blieb davon 1 Hektar übrig, der nach Originalvorlagen wieder aufgebaut wurde. Durch diesen Teil hat uns eine fachkundige Führerin durchgelotst. Sie hat Ihre Aufgabe sehr ernst genommen, denn sie hat kaum ein Ausstellungsstück ausgelassen. Während wir beide Schwierigkeiten hatten Ihr manchmal zu folgen, weil unseremGehirne inmitten der Palastanlage zu zerfließen drohten. Zwischendurch kam ich mir vor wie ein Stück Wachs. Die Palastanlage hat verschiedene Innenhöfe, auf die man ab und zu rausgeht. So muss sich Schneeblindheit anfühlen. Aus dem Palast auf einen Innenhof zu treten hat mir sprichwörtlich im Auge weh getan und für etwa 1 Sekunde war es so hell, dass ich mal gar nichts gesehen habe. So muss sich das auf dem Mt. Everest anfühlen… Im Anschluss haben wir noch ein paar Tourifotos gemacht.

Han Sabrina die Erste

Onkel Merjhat erwartete uns unweit, um uns an der Freitagsmoschee, die den Namen Jome Majmuasi trägt, wieder rauszulassen. Dies ist eine Moschee, wo draußen gebetet wird. Die Konstruktion ist wie üblich ziemlich beeindruckend. Im Zentrum steht ein etwa 20 Meter hohes Minarett. Bevor wir in den Zug steigen, besuchen wir noch einen Friedhof, wo die Familie der Khans begraben liegt.

Nichts für Weicheier

Wir wissen, dass wir um 16:00 Uhr zum Bahnhof in Kokant fahren und glauben zu wissen, dass die Zugfahrt zurück nach Taschkent 2 Stunden dauert. Was wir auch wissen: morgen früh um fünf Uhr werden wir abgeholt und zum Flughafen gebracht. Im Laufe des Tages sprechen wir mit unserem Reiseleiter ein Drei-Gänge-Menü nach unseren Wünschen ab, damit wir nach der späten Ankunft im Hotel nicht mehr in ein Restaurant müssen. Um etwa 16:15 Uhr erreichen wir den Bahnhof, um zu erfahren, dass wir um 17:38 Uhr den Zug nehmen… Gut, sagen wir uns. Ist ein bisschen spät für ein so opulentes Essen, aber es geht ja noch. Dann liegen wir um 22:00 Uhr in der Koje. Weitere 15 Minuten später erfahren wir, dass die Zugfahrt 4! und nicht 2 Stunden dauert. Dann noch ein Drei-Gänge-Menü und dann quasi zum Flughafen, weil dann keine Zeit mehr fürs Schlafen bliebe. Wir sind ja noch jung, knackig und frisch und trotzdem schaffen wir das nicht… Also versuchen wir, so höflich wie wir können, die Gänge auf einen einzigen einzustampfen. Ich sage es erneut: hier sind alle extrem gastfreundlich.

So eine Studienreise ist nichts für Reiseanfänger.

Erkenntnisse an Tag 3

Es ist dunkel im Zug und wackelt, während wir uns mit gesalzenen Biogreno Reiswaffeln von familia selbst voll krümeln und über die Erkenntnisse von Tag 3 philosophieren (der noch lange nicht vorbei ist). Im Fernseher im Waggon läuft eine komische Musiksendung. Frischer könnten die gesammelten Eindrücke also gar nicht sein.

Plow ist UNESCO Weltkulturerbe. Soweit wir wissen, dass einzige Gericht, was ein Kulturerbe ist.

Der Wasserverbrauch ist hier sehr hoch.

Seide kann sehr hart sein.

Usbeken klemmen sich Teddybären oder andere Kuscheltiere und Luftballons ans Auto, wenn sie ein Neugeborenes aus dem Krankenhaus abholen.

Wir vermuten, dass Autos in Usbekistan einen Alarm von sich geben, sobald die Geschwindigkeit übertreten wird. Genau wissen tun wir das nicht.

Hier gibt es viele, viele Waschanlagen.

Studienreisen sind nichts für Anfänger. Wir haben teilweise weniger Zeit zwischen den Aktivitäten als die Mindestruhe vorschreibt.

Wir haben teilweise mehr Zeit zum Essen, als für die einzelnen Aktivitäten.

Wir fragen uns, wie Deutsch wir eigentlich sind.

Wir haben zwei Volkswagen id.4 entdeckt und fragen uns, wie weit man damit in Usbekistan wohl kommt.

2 Gedanken zu “Schneeblindes Wachs in Kokant

  1. Avatar von Enna Enna schreibt:

    Ach, es ist so herrlich Deine Texte zu lesen, ich fiebere schon auf den nächsten hin – ich hoffe, ganz uneigennützig, dass zwischen Essen, Aktivität und Nickerchen wieder eine längere Fahrt zum Schreiben anfällt.

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